Streiflichter aus der Geschichte des Kirchenkreises

Zwar ist der Evangelisch-Lutherische Kirchenkreis Regensburg ca. 70 Jahre alt. Aber die Geschichte des evangelischen Glaubens reicht wesentlich weiter zurück. In verschiedenen Städten und Regionen finden sich interessante Spuren bis zurück in die Reformationszeit.

Wenn man es genau nimmt, ist auch die Zeit vor der Reformation gemeinsame Wurzel aller Konfessionen in unserer Region. Der christliche Glaube ist über 2.000 Jahre alt; und alle Konfessionen knüpfen in unterschiedlicher Weise an das erste Jahrtausend an, in dem es weder "katholisch" noch "evangelisch" gab, sondern nur einen christlichen Glauben und eine christliche Kirche.

Im folgenden laden wir Sie ein zu einem kleinen Gang durch die Geschichte. Hie und da werfen wir ein Schlaglicht auf besonders interessante Zeiten und Entwicklungen.

Freie Reichsstadt Regensburg
Ortenburg - Evangelische Enklave in Niederbayern
Reformation in Neuburg an der Donau
Die Grafen von Wolfstein
Simultaneum - eine Kirche für zwei Konfessionen
Schlesisches Gesangbuch - Flüchtlinge nach dem 2. Weltkrieg
Sie kamen mit dem Trabi - deutsche Wiedervereinigung
Fjodor, Wasili, Irina - Russlanddeutsche in Bayern

 

Freie Reichsstadt Regensburg

Als 1519 in einem schrecklichen Pogrom die jüdischen Bürger der Stadt vertrieben, ihre Synagoge mitten in der Stadt dem Erdboden gleich gemacht und wenig später mit dem Bau einer Marienkirche begonnen wurde, ahnte noch niemand, dass wenige Jahre später diese Kirche zur Keimzelle der Reformation in Regensburg werden würde. Ursprünglich als imposantes Gegengewicht zum Dom geplant, wurde die Kirche zur Schönen Maria nach 1542 zur Kirche der "Neuen Pfarre", zur Neupfarrkirche. Künftig waren die Bürger der freien Reichsstadt Regensburg evangelisch - auch wenn die Angehörigen der Stifte, Klöster und des Bischofssitzes natürlich katholisch blieben.

 

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Anfang des 17. Jahrhunderts wurde dann in der Gesandtenstraße als erster protestantischer Kirchenbau in Deutschland die Dreieinigkeitskirche errichtet. Aus den beiden Pfarreien der "unteren" und der "oberen" Stadt entwickelten sich weitere evangelische Gemeinden in Stadt und Landkreis.

Heute gehören etwa 11% der Menschen in Regensburg zur evangelisch-lutherischen Kirche an. Aktiv beteiligen sie sich in Gemeinden sowie verschiedenen Werken, Diensten und Vereinen am Leben der Stadt. Die geschichtlich bedingte Verbindung zur jüdischen Gemeinde ist dabei ebenso prägend wie die Solidarität mit den Armen und Benachteiligten in der boomenden Metropole Ostbayerns.

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Ortenburg - Evangelische Enklave in Niederbayern

 

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1555 war auf dem Augsburger Religionsfrieden festgeschrieben worden, dass sich die Untertanen nach der Konfession des Landesherren zu richten hätten. Andernfalls blieb ihnen nur die Auswanderung.

Auch die bayerischen Herzöge machten von diesem Recht in Niederbayern und im Innviertel mit aller Konsequenz Gebrauch. Da mutete es nahezu als "wahnwitziges Unternehmen" an, dass 1563 der Reichsgraf Joachim I. von Ortenburg in seiner kleinen, nur 8.000 Hektar großen Grafschaft die Augsburgische Konfession und damit den evangelischen Glauben einführte. In den folgenden Jahrzehnten setzten die Wittelsbacher Herzöge alles daran, diese "Störung" ihrer Religions- und Machtpolitik auszuschalten. Sie schreckten auch vor Wirtschaftsboykott und endlosen Prozessen nicht zurück.

Doch die kleine Grafschaft blieb ein "rettendes Eiland" in der Not der Gegenreformation. Evangelisch Gesonnene aus Passau und dem Rott- und Vilstal gingen heimlich in Ortenburg zum Gottesdienst; österreichische Protestanten wurden ermutigt, ihrem Glauben treu zu bleiben. Auch in den folgenden Jahrhunderten blieb Ortenburg evangelisch-geistliches Zentrum nicht nur für Niederbayern, sondern auch für Teile Österreichs.

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Reformation in Neuburg an der Donau

 

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Wer einige Kilometer westlich von Ingolstadt in das historische Städtchen Neuburg an der Donau kommt, der stößt hier auf die ältesten Spuren evangelischen Glaubens im Kirchenkreis Regensburg. Hier ist der historische Mittelpunkt des ehemaligen Fürstentums Neuburg, das einige Zeit von der schwäbischen oberen Donau im Westen bis zur heutigen oberpfälzisch-böhmischen Grenze reichte.

Auf Initiative des Pfalzgrafen Ottheinrich wurde 1542 von dem Nürnberger Entsandten Andreas Osiander ein Reformationsmandat und eine Kirchenordnung verfasst. Gingen die konfessionellen Verhältnisse in den politischen Wirren der ersten Jahre noch mehrfach hin und her, setzte in den folgenden Jahrzehnten doch eine Konsolidierung ein. Kirchen- und Visitationsordnungen wurden erstellt bzw. revidiert.

Erst im Jahre 1613 führte eine politisch motivierte Heiratspolitik des Erbprinzen Wolfgang Wilhelm zum Übertritt zum katholischen Glauben. Mit tatkräftiger Unterstützung der Jesuiten wurden anschließend die Protestanten immer mehr an ihrer Religionsausübung behindert. Spätestens 1619 waren alle evangelischen Geistlichen im Fürstentum abgeschafft. Eine von 1632 bis 1634 währende Wiedereinführung des lutherischen Glaubens durch die Schweden blieb Episode.

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Die Grafen von Wolfstein

 

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Die kleinen Orte Sulzbürg und Pyrbaum sind die Kernorte eines Gebietes im Westen von Neumarkt/Opf., das im Volksmund auch "Landl" genannt wird. Es ist das Gebiet der ehemaligen Grafen von Wolfstein.

Sie waren eigentlich untergeordnete Vögte, denen es aber gelang, ihr Gebiet durch einen geschickten Schachzug in die Reichsunmittelbarkeit des Kaisers zu bringen. Inmitten des Herrschaftsanspruchs bayerischer Herzöge und Kurfürsten konnte sich so das kleine Gebiet relativ eigenständig entwickeln und wurde zu einem Ort religiöser Offenheit und Toleranz.

Bereits im 14. Jahrhundert hatten die Wolfsteiner jüdische Familien aufgenommen, die andernorts Verfolgungen ausgesetzt waren. Synagoge, Friedhof und in Gemeinschaftsarbeit erstellte Häuser entstanden. Die jüdischen Familien integrierten sich rasch und beteiligten sich rege am lokalpolitischen Leben. 500 Jahre - bis 1938 - ist Sulzbürg auch der Sitz eines Rabbiners.

 

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Gegenüber der Reformation verhielten sich die Grafen zunächst eher reserviert. Erst nachdem schon im Umland mehrere Gemeinden evangelisch geworden waren, berief Freiherr Bernhard von Wolfstein 1561 den ersten evangelischen Pfarrer nach Sulzbürg. Eine Kirchenordnung wurde erarbeitet, die alle Angelegenheiten des kirchlichen Lebens bis hin zu den Krankenbesuchen regelte.

Als 1740 der letzte evangelische Graf verstarb und das Land an Bayern fiel, war es für eine gewaltsame Rekatholisierung zu spät. So kam ein nahezu geschlossen evangelisches Gebiet in das katholische Kurfürstentum Bayern. Die protestantische Kirchenleitung blieb als "Konsistorium Wolfstein" erhalten. Seitdem wird das Landl zuweilen auch "das älteste Dekanat" in Bayern genannt.

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Simultaneum - eine Kirche für zwei Konfessionen

 

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1652 schloss der Sulzbacher Pfalzgraf Christian August mit seinem Vetter aus Neuburg an der Donau einen Vergleich: Danach sollte in den Kirchen das "Simultaneum" eingeführt werden. Das lateinische Wort "simul" heißt "zugleich, zu gleichen Teilen". Simultaneum heißt also nicht nur: die Kirchen stehen evangelischen und katholischen Gemeinden für Gottesdienste zur Verfügung, sondern sie gehören auch beiden Gruppen jeweils zur Hälfte. Und das, obwohl nur kurz zuvor festgestellt worden war, dass nur knapp ein Fünftel der Bevölkerung sich zum katholischen Glauben bekannte und es auf den Dörfern fast keine Katholiken mehr gab.

Die Folgen dieser Regelung waren schier endlose Streitigkeiten. Gottesdienstzeiten sollten teil von Tag zu Tag wechseln, die Pfründe für die Pfarrersgehälter mussten geteilt werden. Immer wieder gab es Streit um den Taufstein, um Altäre oder Kirchenschlüssel. Die Zeiten damals waren noch nicht reif für ein friedliches Nebeneinander der Konfessionen.

Inzwischen sind viele Simultanverhältnisse aufgelöst worden, indem eine Konfession die andere anteilig ausgezahlt hat. Oft baute die katholische Gemeinde eine neue Kirche; lediglich in Sulzbach-Rosenberg wurde 1956-1958 die evangelische Christuskirche neu gebaut. Das Nebeneinander der Kirchtürme symbolisiert auch ein weitgehend friedliches Miteinander der beiden Konfessionen.

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Schlesisches Gesangbuch - Flüchtlinge nach dem 2. Weltkrieg

Der Zweite Weltkrieg hat nicht nur für ganz Europa eine politische, wirtschaftliche und soziale Katastrophe heraufgeführt. An seinem Ende mussten auch ganze Volksgruppen aus ihrer Heimat fliehen. So kamen auch zehntausende Menschen vor allem aus Schlesien, aber auch anderen Gebieten nach Ostbayern.

 

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Die Flüchtlingsströme trafen die kleinen evangelischen Diasporagemeinden völlig unvorbereitet. Plötzlich mussten hunderte Familien wenigstens notdürftig untergebracht und versorgt werden. Zum Glück zeigten sich auch die katholischen Gemeinden gastfreundlich. Schulhäuser oder Gasträume wurden zur Verfügung gestellt. Und an vielen Orten durften die "Evangelischen" auch ihren Gottesdienst in einer katholischen Kapelle halten.

 

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Auch das gemeindliche Leben gestaltete sich schwierig. Die wenigen evangelischen Kirchen platzten aus allen Nähten, wenn überhaupt eine vorhanden war. So errichtete man an vielen Orten sogenannte Barackenkirchen, in denen Gottesdienst gehalten und Religionsunterricht für die Kinder organisiert werden konnte. Das Harmonium oder Klavier wurde gespielt wenn jemand die Lieder noch aus der schlesischen Heimat kannte, ansonsten sang man ohne Begleitung. Dutzende von Gemeinden in Ostbayern sind aus solchen Anfängen entstanden und später selbständige Pfarreien geworden. Der oft selbst geflohene schlesische Pfarrer oder der Reiseprediger mit Moped oder Kraftrad sind noch nicht vergessen, auch wenn an den meisten Orten ordentliche Pfarrstellen errichtet werden konnten.

Viele Familien sind in den sechziger Jahren weitergezogen in die städtischen Regionen, wo leichter Arbeit zu finden war. Doch auch heute kann es einem passieren, dass dem Gast bei einem Besuch schlesischer Mohnkuchen serviert wird.

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Sie kamen mit dem Trabi - deutsche Wiedervereinigung

Als sich 1989 die Grenze zwischen Ungarn und Österreich öffnete und wenige Tage später Hunderte, ja Tausende mit ihrem Trabant bei Passau die Grenze nach Bayern passierten, standen den meisten Menschen Tränen in den Augen. Uralte Sehnsüchte der Zusammengehörigkeit der beiden deutschen Staaten waren mit einem Mal wahr geworden. Es kam zusammen, was zusammen gehört.

Für die evangelischen Gemeinden und die Behörden entlang der Donau aufwärts bedeuteten diese Tage auch intensive Ersthilfe für diejenigen, die gerade einmal mit ihrem Urlaubsgepäck und ihrem Auto zu uns kamen. Allen voran engagierte sich der Bundesgrenzschutz mit seinen Beamten bis an die Grenze der Kräfte. In den Gemeinden fanden die Familien - oft mitsamt ihren kleinen Kindern - bereitwillig Aufnahme. Bei der Integration in Arbeit und Schule wurde tatkräftig Hilfestellung geleistet.

Die Begeisterung, der Überschwang der Gefühle und das Zusammengehörigkeitsgefühl ist in den folgenden Jahren einer gewissen Ernüchterung gewichen. Dennoch hört man in den evangelischen Gemeinden unseres Kirchenkreises zuweilen auch bei jüngeren Menschen einen breiten sächsischen Dialekt. Er erinnert daran, dass Gemeinschaft - auch zwischen ehemals getrennten Staaten - Solidarität und Bereitschaft zum Verzicht erfordert.

Inzwischen sind die Menschen aus der ehemaligen DDR ganz selbstverständlicher Teil des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und gemeindlichen Lebens geworden.

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Fjodor, Wasili, Irina - Russlanddeutsche in Bayern

 

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Einst hatten sie sich im Osten und Südosten Europas und in den asiatischen Republiken der ehemaligen Sowjetunion niedergelassen. Über Jahrhunderte haben diese deutschen Siedler ihre Kultur, ihre Sprache, ihre Sitten und Lebensgewohnheiten bewahrt. Immer haben sie sich zu ihrer deutschen Herkunft bekannt. Das hatte Verfolgung und schwere Schicksalsschläge und Benachteiligungen zur Folge. Nach 1941 wurde die deutsche Bevölkerung Russlands mit wenigen Ausnahmen aus ihren angestammten Siedlungsgebieten vertrieben und mehrmals zwangsweise umgesiedelt. So kamen viele auch nach Kasachstan.

Viele Russlanddeutsche Familien sind in den letzten Jahren nach Deutschland ausgesiedelt. Aber vieles bei uns ist für sie fremd und ungewohnt. Deutsch beherrschen sie nur noch teilweise, denn Russisch war bisher die Umgangssprache. Während sie in Russland als "Deutsche" und "Faschisten" abgestempelt waren, sind sie jetzt bei uns "die Russen".

Dennoch sind sie eine große Bereicherung für die evangelischen Gemeinden im Kirchenkreis Regensburg. Manche Gemeinden sind um 10% oder manchmal gar um die Hälfte gewachsen. Die Integration umfasst neben der Beratung über Versicherungen, Arbeitslosigkeit oder Berufsfindung, schulische Fragen oder Unterhaltsfragen auch Gespräche und Begegnungen in den Gemeinden, in Bibelstunden und Gottesdienst, in Religionsunterricht und Diakonie.

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